Interview zum Tag der Epilepsie am 5. Oktober

von Dieter Resner, Reutlinger Wochenblatt und Dieter Schmidt, Selbsthilfegruppe Epilepsie Reutlingen. 01.10.2016

 

Hallo Dieter Schmidt, man umschreibt Epilepsie ja auch mit Gewitter im Hirn. Geben Sie uns mal einen Einblick in den Ablauf?

Dieter Schmidt: Man könnte es schon als Gewitter bezeichnen. Ich sag immer, die Sicherung fliegt raus. Man spricht nicht von der Epilepsie, sondern vielmehr von den Epilepsien. Es gibt ca. 30 verschiedene Arten der Epilepsie, wobei der große Anfall (Grand-mal) der bekannteste ist, weil er manchmal Furcht einflößt. Er ist einer von vielen Anfallsformen, aber nicht der häufigste. Ein epileptischer Anfall ist eigentlich eine Organkrankheit (vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns) wie jede andere Krankheit des Körpers auch. Etwa 1% aller Menschen weltweit haben eine Epilepsie,

 

Wie lange dauert so ein Anfall?

Schmidt: Ein normaler Anfall dauert ungefähr zwei Minuten.

 

Wer steckt die Sicherung dann wieder rein?

Schmidt: (lacht) Normalerweise hört ein Anfall von alleine auf. Das Gehirn repariert es selber, so gut íst es.

 

Was ist der Auslöser dieser Krankheit?

Schmidt: Es gibt sehr viele Auslöser. Es ist bei jedem anders. Zum Beispiel Stress, Schlafmangel kann eine Ursache sein. dann auch mal eine Nacht durchmachen ist auch sehr provozierend. Zu all dem kommt aber auch noch Alkoholmissbrauch hinzu und Lichtreflexe. Bei jedem sind ganz verschiedene Auslöser möglich.

 

Erklären Sie das bitte.

Schmidt: Es kann sich positiv auswirken, wenn ich regelmäßig ins Bett gehe und Alkohol meide, negativ ist ein stressiger, verantwortungsloser Lebenswandel. Kann, muss aber nicht. das muss Jeder für sich selbst herausfinden. Man kann nicht oft genug betonen ein Anfallstagebuch zu führen.

Der große russische Romanautor Dostojewski war einer der berühmtesten Epileptiker.

Schmidt: Nicht nur dieser Schriftsteller, auch der Maler van Gogh, Napoleon oder auch Moliere und viele Andere geniale Größen hatten Epilepsie.

Bei Dostojewski heißt es, dass er bei der Nachricht vom Tod seines Vaters seinen ersten Anfall gehabt hatte.

Schmidt: Ja das kann auch durch einen heftigen Schicksalsschlag ausgelöst werden.

Welche Auswirkungen hat die Krankheit auf den Alltag?

Schmidt. Das ist ganz verschieden und hängt von der Epilepsieart ab. 2/3 der Epileptiker sind mit Medikamenten anfallsfrei. Diese können durchaus ganz normal leben und arbeiten.

Wie zeigt sich dann so ein anderer Anfall?

Schmidt: Wenn ich zum Beispiel mit der Hand auf meinem Hemd rumnestele oder plötzlich mit dem Arm unkontolliert Hin und Her zucke, auch das ist ein Epilepsieanfall.

Das ist interessant.

Schmidt: Solche Anfälle fallen meist nicht auf. Wenn ich als Patient aber einen Grand Mal bekomme, dann bin ich für zwei Minuten weg. Das krieg ich gar nicht mit. Ich bin bewusstlos. Nach zwei Minuten wache ich wieder auf und frage wo bin ich? Und die Sache ist für mich eigentlich gut vorbeigegangen, weil ich nichts mitgekriegt habe. Aber die Außenstehenden erschrecken und verzweifeln und haben vielleicht sogar den Notarzt geholt.

In Erste Hilfe Kursen ist so ein Grand Mal eines der Beispiele. Da lernt man, wie man sich verhalten soll.

Schmidt: Der Ablauf des Anfalls ist immer derselbe. Das weiß der Patient selber am Besten. Wenn dann jemand da ist, der Erste Hilfe leistet, kann er zum Beispiel einen Stuhl oder Tisch wegschieben, sodass der Betroffene sich nicht verletzen kann, eine Jacke oder Kissen unter den Kopf legen. Nach dem Anfall den Patienten in eine stabile Seitenlage legen, dann ist das Wichtigste schon gemacht. Wenn man die Anfallsart kennt, braucht man keinen Notarzt holen. Nach zwei Minuten wacht der Patient wieder auf und dann kommt er so langsam wieder zu sich.

 

 

Wie wird die Krankheit behandelt?
Schmidt: Durch Medikationen und Therapie. Zwei Drittel der Epileptiker können anfallsfrei werden.

 

Wie haben Sie erfahren, dass sie Epileptiker sind? Wann hatten Sie Ihren ersten Anfall?

Schmidt: Da war ich 13 Jahre alt, also gerade in der Pubertät. Es war in der Schule. Auf dem Schulhof bin ich einfach hingefallen und war dann eine Weile weg. Die Schulkameraden sind außen rum gestanden und die Lehrer auch. Sie alle wussten nicht, was zu tun ist. Dann ging es natürlich zum Arzt. Das war mein erstes Erlebnis. Das ist nun auch schon 62 Jahre her.

Wie war das zu der Zeit?

Schmidt: Da war gerade neun Jahre der Krieg aus. Man darf nicht vergessen dass Ärzte im 3. Reich "unwerte Leute" ( auch Epileptiker), durchweg ins KZ geschickt haben. Die Leute sind getötet worden. Das war die Euthanasie. Nach dem Krieg gab es keine Ärzte, die einen da mit gutem Gewissen behandelt haben. Da gab es nur die alten Ärzte. Bis in die 1970er Jahre hieß es noch, Epilepsie sei eine Geisteskrankheit und es sei eine Erbkrankheit. Mittlerweile hat die Medizin das Gegenteil bewiesen und die Theraphie hat sich sehr verbessert. Wir haben einen gesunden Sohn, der ist 37 Jahre alt und Wirtschaftsforscher. Ein gutes Beispiel für die die Forschung und bessere Diagnose.

Sie haben auch eine Selbsthilfegruppe gegründet. Wie viel Leute sind in ihre
r Selbsthilfegruppe?

Schmidt : Ich habe 2007 die Gruppe gegründet. Zwischen 12 und 15 Personen kommen regelmäßig. Wir tauschen uns aus. Jeder kann und soll von seinen Sorgen erzählen und da merkt dann dass es derm Anderen ja genauso schlecht oder schlechter geht wie einem selbst. Da kann sich jeder ein genaueres Bild von Epilepsie machen. Einigen hat das schon geholfen. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit zu machen und das Tabuthema zu brechen.

 

 

Dieter Schmidt Tel. 07121-54705

E-mail :epilepsie.rt@googlemail.com

Homepage:www.epilepsie-reutlingen.jimdo.com

Treffpunkt: Gemeindehaus der Mauitius-Kirche Betzingen, Steinachstrasse 4,

jeden 1. Donnerstag im Monat von 20:00 Uhr - 22:00 Uhr.