Meinungen und Erfahrungen








Die Möglichkeiten und Grenzen

einer Epilepsie-Selbsthilfegruppe

 

Selbsthilfegruppen sind freiwillige Zusammenschlüsse von Menschen auf örtlicher/regionaler Ebene, deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten richten, von denen sie - entweder selbst oder als Angehörige  betroffen sind. Sie wollen mit ihrer Arbeit keinen materiellen Gewinn erwirtschaften. Ihr Ziel ist eine Verbesserung  ihrer persönlichen Lebensumstände und häufig auch ein Hineinwirken in ihr soziales Umfeld. In der regelmäßigen, meist monatlichen Gruppenarbeit betonen sie Gleichstellung, gemeinsames Gespräch und gegenseitige Hilfe. Die Ziele von Selbsthilfegruppen richten sich vor allem auf ihre Mitglieder, aber auch Öffentlichkeitsarbeit  (z.B. Informations-veranstaltungen mit Fachärzten) ist ein ganz wichtiger Punkt.

Selbsthilfegruppen werden nicht von professionellen Helfern (z.B. Ärzten, Therapeuten oder anderen Medizin- oder Sozialberufen  geleitet) manche ziehen jedoch gelegentlich Experten zu bestimmten Fragestellungen hinzu.

 

In einer Selbsthilfegruppe treffen sich Menschen:

  •  die bereit sind über sich, ihre Stärken, Schwächen, Schwierigkeiten und    Sehnsüchte zusprechen die das gleiche Thema haben und miteinander daran arbeiten wollen.
  • die daran glauben, dass Veränderungen aus eigener Kraft möglich sind - gemeinsam mitanderen.

 

Die Grenzen der Gesprächs- und Freizeitgruppen sind dann erreicht, wenn die Vermittlung von Fachwissen über die Epilepsien, deren Behandlungsmöglichkeiten oder auch die Information über sozialrechtliche Regelungen notwendig ist. Hat der/die Betreffende ernstzunehmende psychische Probleme, (z.B. Depressionen, Angststörungen) sind die Gruppen ebenfalls überfordert. In erster Linie geht es bei den Epilepsie-Selbsthilfegruppen um den Austausch persönlicher Erfahrungen – Selbsthilfegruppen sind kein Ersatz für professionelle Hilfe die immer dann, wenn sie notwendig ist, in Anspruch zu nehmen ist.

Selbsthilfe will und kann professionelle Hilfe nicht ersetzen. Sie kann jedoch Menschen mit Epilepsie befähigen, sich produktiver mit ihrer Erkrankung auseinander zu setzen und damit zu einer besseren Krankheitsbewältigung beitragen.  Zudem kann Selbsthilfe Menschen mit Epilepsie darin unterstützen, zielgerichteter auf die Angebote des Versorgungssystems zuzugreifen und diese  - sollten sie ihren Bedürfnissen nicht entsprechen  -  kritisch hinterfragen und damit letztlich einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität zu leisten.

 

Die Teilnahme an Gesprächsgruppen gibt Halt und Anregungen, wie die Krankheit im positiven Sinne bewältigt werden kann. Zum anderen bieten Gesprächsgruppen die Möglichkeit, andere Menschen in vergleichbaren  Situationen kennen zu lernen, verstanden zu werden und den Problemen und Ängsten anderer Menschen mit Epilepsie oder anderer Angehöriger zuzuhören. Durch das Zuhören und Erzählen bieten Gesprächsgruppen einen idealen  Ausgangspunkt, um die Kontrolle über das eigene Leben zurück zu gewinnen. Selbsthilfegruppen sind in einem „geschützten Raum“, ihre Gespräche untereinander sind vertraulich.  Das ist besonders wichtig, wenn die Betroffenen  lange isoliert waren, soziale Kontakte einüben können und damit ihre sozialen Kompetenzen stärken. Hier hilft vor allem ein gesundes Miteinander, Grillfeste, Spieleabende, Weihnachtsfeiern und Wanderungen erleichtern dadurch die Bewältigung am allgemeinen gesellschaftlichen Leben und den Zugang zu Menschen, die nicht an einer Epilepsie erkrankt sind.

 

Wenn dies eingehalten wird, hat man schon einen großen Schritt zu einer funktionierenden Gruppe getan. Auch das abwechseln der Personen, die durch den Abend führen, wäre von Vorteil, damit die Verantwortung auf mehreren Schultern ruht. Dadurch wird auch ein gewisser Zusammenhalt erreicht. Unterschiedliche Themen wie z.B.: Arbeitssuche als Epileptiker, Leben mit Epilepsie, optimale Medikamentenversorgung, suche nach kompetenten Epileptologen, sind Themen die gründlich diskutiert werden können. Nicht selten entstehen positive Verbindungen unter den Betroffenen. Aus dieser erfreulichen Entwicklung können sogar Freundschaften entstehen. Zu erwähnen wäre noch, dass die Selbsthilfegruppe nur für tatsächlich Betroffene, deren Angehörige und Interessierten Leuten bestehen sollte.  

Die in diesen Gruppen gemachten Erfahrungen stärken das Selbstbewusstsein und die soziale Kompetenz der Betroffenen, aber auch der Angehörigen. Und das sollte das Ziel solcher SHG‘ sein.

 

Auszug aus: Informationen zu den Organisationen der Deutschen Epilepsievereinigung e.V.

 



Wie gut wird ein Epileptiker in Deutschland behandelt

In unserem Land besteht eine Gesundheitsversorgung, auch für Epilepsie, die oft bemängelt wird, aber im Vergleich zu den Entwicklungsländern könnten sich alle glücklich schätzen hier zu leben. Die medizinische Versorgung ist relativ gut und die neuesten Untersuchungsmethoden darf man in Anspruch nehmen. Man hat allen Grund zufrieden zu sein, etwas Optimales wird es nie geben. Aber unsere medizinische Entwicklung versucht alles, um Neues zu erfahren!

 

Grundsätzlich gilt: Wer in den Industrieländern lebt, hat wesentliche Vorteile bei der Epilepsieversorgung. Bessere Versorgung wäre trotzdem möglich, wenn die Ärzte mit den Patienten eine vertrauliche Verständigungsbasis aufbauen könnten. Umgekehrt gilt das aber genauso, viele Patienten wollen oder können sich mit dem Arzt nicht vernünftig besprechen. Oft ist es ein Zeitproblem, das den Ärzten überhaupt keine Chancen gibt den Patienten richtig zu behandeln.

 

Große Probleme können bei der Medikamentenwahl entstehen. Wir haben in unserem Land hervorragende Medikamente, sie haben sich bestens bewährt

– aber – sie sind zu teuer und für Kassenpatienten oft nicht mehr erschwinglich. Deshalb werden jetzt sogenannte Generika bevorzugt vom Arzt verschrieben. Wenn ein Epilepsiepatient lange Jahre mit einem bestimmten Medikament anfallsfrei ist ( dies könnte auch bei einem Generika der Fall sein ), sollte er auf keinen Fall auf ein Ersatzmedikament umsteigen. Obwohl gesagt wird, dass hier derselbe Wirkstoff drin ist. Es könnte wieder zu Anfällen kommen. Die Folge wäre: Krankenhausaufenthalt, Untersuchungen, Blutspiegel, EEG, MRT etc. Hier ist der Kosten-Nutzen-Faktor in keinem Verhältnis zum Aufwand.

Wir sollten alle darauf achten, dass der Arzt beim Rezept das aut-idem (oder dasselbe) Zeichen ankreuzt. Nur dann ist der Apotheker verpflichtet, dasselbe Medikament auszuhändigen. Sie sehen, hier ist der aufgeklärte mündige Bürger gefragt. Selbsthilfegruppen können hier sehr gute Hilfe leisten. Aber nach unseren Erfahrungen sind allerhöchstens 3-4% über diese Maßnahmen aufgeklärt.

In Deutschland sind viele Patienten mit einer Epilepsie noch schlecht behandelt oder medikamentös mangelhaft eingestellt. Oft fehlt es nur an der richtigen Diagnose und einer guten Aufklärung über den Umgang mit der Erkrankung um machbares zu erreichen. Epilepsie ist häufig - 1% der Bevölkerung hat eine Epilepsie, davon sind 70% durch Medikamente anfallsfrei. 20% sind unbefriedigend eingestellt und die restlichen 10% haben eine sehr schwere Epilepsie mit körperlicher und geistiger Behinderung.

Das Wissen der Bevölkerung über Epilepsie ist allgemein immer noch bescheiden.

 

Wir sollten zufriedener und dankbarer mit unserer medizinischen Versorgung sein, denn es gab auch schon andere Zeiten:

Die NS-Zeit ist noch heute in vielen Köpfen unserer Bevölkerung unbewusst verankert. Es sind jetzt immerhin schon 66 Jahre seit Kriegsende her, aber man sollte die damaligen Verhältnisse nicht vergessen. 1940-41 wurden in ganz Deutschland sogenanntes unwertes Leben (körperlich und geistig Behinderte, auch Epileptiker) in Gaskammern umgebracht. Die Ärzte, die damals die Horrortaten ausführten oder zuließen, wurden nach dem Krieg aber wieder nötig gebraucht. Und dieselben Ärzte sollten nun (unter anderem) auch Epileptiker behandeln – ein unheimlicher Spagat!! Ethisch und Moralisch einfach unglaublich. Es war also durchaus nachzuvollziehen, dass die damaligen Betroffenen und deren Angehörigen die Krankheit verheimlichten so gut es eben ging. Bei den weniger spektakulären Epilepsiearten war dies auch überhaupt kein Problem, man wurde als nervös oder fahrig diagnostiziert. Bei den großen Anfällen wurde das schon etwas dramatischer, hier stießen die damaligen Ärzte an ihre Grenzen. Es wurde die „Fallsucht“ als Erb-und Geisteskrankheit eingestuft. Falls überhaupt geheiratet wurde, war es ungern gesehen und Kinderwunsch wurde sogar abgeraten.

 

Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.
R. v. Weizsäcker  

 

Wir dürften durchaus zufriedener sein, wir werden gut bis sehr gut behandelt. Die Menschen damals wussten es nicht anders, sie lebten in einer schrecklichen Zeit. Da wurde Epilepsie lange nicht so ernst genommen wie heute.

 

Dieter Schmidt