Mein Schulfreund hat Epilepsie

Ich habe einen Freund Mark, mit dem ich super auskomme. Wir beide sind nun 70 Jahre alt und haben viele Gemeinsamkeiten wie Hobby, Sport aber auch viele gleiche Ansichten im Alltag. Allerdings hat er schon seit ich ihn kenne ein großes Handicap. Er hat Epilepsie, die Ärzte sagen es ist eine „komplex fokale Epilepsie“.  

Aber ich möchte den Anfang der ganzen Geschichte erzählen:

Wir beide waren 16 Jahre alt, als wir eine Bergtour machten.  Auf einem abschüssigen Feldweg stürzte Mark einen Hang hinunter und schlug mit dem Kopf auf einen Felsbrocken. Er hatte eine stark blutende Kopfwunde und  war kurze Zeit bewusstlos. Ich rief den Notarzt und er wurde in  ein Krankenhaus eingeliefert, dort stellten die Ärzte einen Schädelbruch fest. Es dauerte 4 Wochen, bis er wieder ohne Schmerzen und den Nebenerscheinungen des Sturzes ins normale Alltagsleben gehen konnte. Doch dieser Sturz blieb nicht ohne Folgen, er klagte öfter über Kopfschmerzen. Aber richtig bedenklich wurde es, als er sich bei einem Fußballspiel plötzlich völlig abnormal verhielt. Mark ist ein überaus guter Fußballer, der mit feiner Technik oft brillierte. Aber diesmal spielte er den Ball plötzlich völlig unbehindert ins eigene Tor. Er war auch in dem Zeitpunkt ein bisschen abwesend und wir lachten ihn auch deswegen aus. Wir alle nahmen das alles nicht besonders ernst, denn nach kurzer Zeit spielte er wie eh und je. Allerdings waren wir 2 Wochen später schon beunruhigt, als ihm wieder ein ähnlicher Lapsus passierte. Diesmal spielte er den Ball dem Schiedsrichter zu. Ich erzählte diesen Vorgang Zuhause meinem Vater, der von Beruf Neurologe ist. Er riet Mark, schnellstens bei ihm vorbeizukommen um ihn zu untersuchen.

Nun stellte sich nach etlichen Untersuchungen heraus, dass Mark Epilepsie haben könnte. Mein Vater überwies ihn zu einem bekannten Kinderarzt, der sich auf kindliche Epilepsie spezialisiert hatte, denn sein Wissen über Epilepsie war eher begrenzt.  Die Epileptologie war damals noch in den Kinderschuhen.

Die Vermutung wurde zur bitteren Wahrheit. Nach gründlicher Untersuchung und einem  EEG, stand die Diagnose „komplex fokale Epilepsie“ eindeutig fest. Mark hatte durch den Sturz eine Epilepsie bekommen. Er kam in ein Epilepsie-Zentrum und musste auf die für ihn besten Medikamente eingestellt werden. Nach 5 Wochen durfte er die Klinik verlassen, aber die Ärzte sagten ihm, dass er nun regelmäßig jeden Tag Tabletten einnehmen müsste. Seine Epileptischen Aussetzer bekam er dadurch auch in den Griff, aber er wurde ein ganz anderer Mensch. Die Fröhlichkeit, die ihn früher so auszeichnete, wich einer ernsten oft in sich gekehrten Art.

Ich machte mir ernsthafte Sorgen um Mark, denn er ließ niemanden an sich heran. Er machte damals eine schlimme Zeit durch, aber er wurde in dieser Zeit auch reifer und selbstbewusster. Durch eigenen starken Willen konnte er wieder ein fast ganz normales Leben führen.

Ich selbst machte auch einen Entwicklungs- und Lernprozess durch. Es war besonders am Anfang seiner Epilepsie nicht leicht, mit ihm vernünftig über diese Probleme zu reden. Aber wir beide hatten in der Zeit eine ganz besondere Gemeinsamkeit, wir fingen an uns für die Krankheit Epilepsie zu interessieren. Unsere Freundschaft ist dadurch  noch enger geworden, jeder erzählt dem anderen seine Probleme. Und durch diesen offenen Umgang mit seiner Epilepsie begann ein neuer, wenngleich auch nie vorher geplanter Lebensabschnitt. Und der hatte auch seine schönen Seiten. Mark ist durch seine Medikamente zwar langsamer im Denken und Handeln geworden, aber das gleicht er mühelos durch seine enorme Vorstellungskraft und die Fähigkeit mit Leuten zu kommunizieren, aus. 

In jedem Menschen steckt ein Diamant, man muss ihn nur ausgraben!

Wir beide machten mit Erfolg unseren Abiturabschluss und wollten beide Maschinenbau studieren. Es hat sich dadurch  etwas entwickelt, was ich vorher nie zu träumen wagte. Gleichgesinnte Freundinnen und Freunde  sorgten auch dafür, dass eine nahtlose Eingliederung ins Studium und später ins Berufsleben möglich wurde.  

Glaube versetzt Berge und das prägte auch mein Leben für die Zukunft. Ich möchte hier meinem Freund Mark herzlich für diesen Reifeprozess danken.

Es folgten Jahre des Berufs- und Familienlebens. Obwohl wir aus beruflichen Gründen nun weit voneinander wohnten, ist der freundschaftliche Kontakt nie abgebrochen. Mark hat zwischenzeitlich versucht  seine Tabletten abzubauen, leider bekam er danach wieder Anfälle. Nun ist er endgültig davon überzeugt, dass er sein Leben lang diese Medikamente einnehmen muss. Ich sagte mal zu ihm, nimm nur diese Pillen, das ist besser als Anfälle zu haben.

Als Mark in Rente ging baute er eine Epilepsie-Selbsthilfegruppe auf und kann somit Anderen Betroffen mit seiner Erfahrung einiges erzählen und oft sogar helfen.

 

Dies ist meine Geschichte, die aus Erfahrung aus dem Leben gegriffen ist. Eventuelle Parallelen zu ähnlichen Fällen sind rein zufällig und auch nicht beabsichtigt.  Ich will noch ganz stark betonen, dass die damaligen Untersuchungsmethoden mit den heutigen nicht zu vergleichen sind. Es gab noch kein MRT, CCT oder gar Operationsmöglichkeiten.

Es liegt mir sehr am Herzen, dass viele von Euch auch solche wertvollen Freunde finden. Ich denke hier kommt zum Vorschein, dass eine enorme Willenskraft, gepaart mit einem guten Umfeld  ein gutes Beispiel für viele Epileptiker beschrieben wurde.

Euch allen alles Gute

Dieter Schmidt

 

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