Outing

Sich offenbaren, outen, ist gar nicht so selbstverständlich wie man gerne denken möchte. Gerade bei  Epilepsie ist dieser Schritt oft nur mit Mühe möglich, denn allzu viel Angst und Unsicherheit beherrschen viele Betroffene.  Wer erzählt schon gerne seinen Bekannten, Verwandten oder Freunden freiwillig von seiner Krankheit. Das möchten die doch gar nicht wissen, sie haben ja  bestimmt auch genügend Probleme mit sich selbst und ihren gewiss auch vorhandenen Krankheiten.  Oft ist auch falsche Scham (für Epilepsie kann man nichts), Unsicherheit oder auch Unwissenheit ein Grund sich nicht zu öffnen.

 

Ich selbst habe auch lange Zeit gebraucht, bis ich mich endlich outete. Und das habe ich nie bereut, denn ich hatte nur positive Erfahrungen. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich bei meinem Kegelverein: Meine Kegelbrüder wussten zwar, dass ich nie Alkohol trank, aber sie wussten nicht warum.  Bis einmal die Bemerkung viel: Seit wann bist Du trocken? - ; man hielt mich also für einen Alkoholiker und ich merkte es nicht.  Das war für mich der Ausschlag,  ihnen alles über meine Epilepsie zu erzählen. Ab dieser Zeit wurde unsere Unterhaltung  und auch die Freundschaft viel intensiver. Denn das Ungewisse war nun endlich vom Tisch und keiner nahm Anstoß daran. Das war ein wunderbares Erlebnis für mich.  Natürlich hänge ich mir kein Schild um den Hals mit der Aufschrift „ich habe Epilepsie“, ich suchte mir meine Leute schon aus. Richtige Freunde, gute Bekannte, nette Nachbarn und natürlich die Familie. Vertrauliche Personen eben.

Man sollte eben gewisse Dinge genau beachten:  Ein epileptischer Anfall  läuft bei  jeden anders, aber fast immer im gleichen Schema ab. Wenn man das weiß hat man schon vieles erreicht. Egal ob das nun ein Grand-mal oder ein fokaler Anfall ist, man ist in der glücklichen Lage genau  beschreiben zu können wie so ein Anfall verläuft.  Deshalb kann man hier seinen Freunden genauestens erklären, was sie bei einem eventuellen Anfall machen sollten. Wo vorher unterschwellig Angst und Unwissen bei meinen Freunden herrschte, ist nun eine gewisse Normalität zustande gekommen.

 

Ich wurde schon öfters gefragt, warum ich mit diesem „Leiden“ so gut umgehen kann. Puh,

ich leide doch nicht mit meiner Epilepsie, ich lebe mein Leben, soweit es eben möglich ist, weiter wie bisher. Ich habe halt ab und zu eine kleine „Auszeit“, aber nach kurzem „schütteln“ geht es ganz normal weiter. Denn mit  Epilepsie kann man gut leben, man muss seine Gewohnheiten aber ändern. Denn bei der Arbeit oder Freizeit sollte man schon gewisse Regeln einhalten.

Ich bin kein "Leidender" und wenn doch, dann bestimmt nicht weil ich Epilepsie habe. Es gibt nähmlich schlimmere Krankheiten, wo man richtig leiden muss.

Ob nun Familienmitglieder oder  Freunde eine Wanderung oder ähnliches planten, war für mich die Epilepsie nie ein Grund zuhause zu bleiben. Es gab keine ungeklärten Fragen und auch keinerlei Berührungsängste. Sie hatten die Situation jederzeit im Griff und sorgten dafür, dass man mich eben einfach mal machen ließ, die paar Minuten. Denn sie wussten was zu tun ist in den 2-3 Minuten, dadurch musste auch nie ein Notarzt gerufen werden.

Ich habe nicht einmal erleben müssen, dass man mich gemieden hätte. Man umsorgte mich eher und das macht gute Freundschaft aus.  Ich vergehe allerdings auch nicht in Selbstmitleid oder Jammerei, sondern integriere mich und meine Anfälle so gut es geht in mein Leben. Der Weg dorthin war nicht leicht, aber mein engstes Umfeld hat mir dabei sehr geholfen.

Wenn man sich nur einmal kurz überwinden und outen kann, dann geht der Rest von ganz alleine. Und plötzlich hat man einen Punkt erreicht, wo man wieder Licht im Tunnel sieht und merkt, dass man nicht alleine ist.

 

Seit ich die Epilepsie-Selbsthilfegruppe leite, erreichen mich so viele Anrufe wildfremder Menschen, die endlich einmal über Epilepsie reden wollen. Da muss ein alter Mann wie ich erst kommen und an der Sprachlosigkeit rütteln, um sich endlich zu outen, oder auf Deutsch, sich zu offenbaren!  Auch Epileptiker haben Freunde, überall!! Um sie zu sehen muss man nur eines tun: Den allerersten schweren Schritt.


Man muss reden!!!

 

Ich wünsche Euch allen diesen Schritt zu wagen, denn er bringt viele Vorteile

 

In diesem Sinne

 

Euer Dieter Schmidt

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Kommentare: 2
  • #1

    Simone (Montag, 23 September 2013 17:21)


    Das Outen ist auch sehr schwierig. Ich finde trotz Aufklärung ist es stellenweise immer noch ein Tabu-Thema.
    Ich ziehe einen Hut vor unseren Epi-Botschaftern od. Selbsthilfegruppen, die wirklich tag ein und tag aus Aufklärungsarbeit betreiben, Vorurteile abbauen. Denn Epileptiker sind weder dumm noch behindert oder sonstiges was.

    Ich will es nun nicht verpassen, auch mal hier Dieter zu danken, der mich auch schon ziemlich lange kennt und immer ein offenes Ohr für mich hat und mich aufbaut, wenn auch nur über www

    Sich zu der Epilepsie zu bekennen und seine Umwelt darauf hinzuweisen ist sicherlich nicht leicht, es liegt aber sicherlich auch daran das immer noch so viele Vorurteile bestehen.
    Es fängt an im Freundeskreis und endet auf Arbeit. So das sich vielleicht einige verkriechen.
    Bei mir war es auch nicht ganz leicht. Mein Freundeskreis schrumpfte, denn wer will eine Epileptikerin als Freundin?!
    Viele fürchteten sich, was ist wenn es z. B. in einem Kaffee passiert?
    Für einige ist es peinlich.... oder auch einfach das Gefühl nicht zu wissen, was man machen und helfen kann.
    Jedenfalls geblieben ist mir eine ganz tolle Freundin, die immer zu mir hält und mit diesem Thema so selbstverständlich umgeht. Okay ich hatte noch nie einen Anfall in ihrer Gegenwart, aber sie würde im Falle des Falles gut reagieren. Ich hatte mich damals mit ihr zusammengesetzt, ihr alles erklärt.

    Selber habe ich aber zuerst einige Zeit gebraucht um selber zurecht zu kommen, zu lernen was ist Epilepsie usw... Erst dann konnte ich mich quasi outen. Nun ist es so ich bin Epileptikerin, entweder es wird akzeptiert oder nicht. Wenn manche Leute meinen sie müssen mich deswegen meiden, dann sollen sie es, sie meinten es dann eh nicht gut mit einem. Wir sind deswegen keine schlechtere Menschen, nur man muss halt darüber reden.

    Simone

  • #2

    Dieter (Montag, 23 September 2013 20:12)

    Simone, ich danke Dir für diesen bewerkenswerten Eintrag. Allein schon den Schritt zu wagen hier im Blog zu schreiben, ist doch ein prima Zeichen. Trotz vieler Bedenken und Unsicherheiten so etwas sich zu trauen, finde ich schon bemerkenswert.
    Wenn wir alle uns gegenseitig aufmuntern und so etwas dabei heraus kommt, dann hat sich dieser Blog gelohnt.
    Ich danke Dir Simone, vielleicht gibt es Nachahmer. Das wäre wunderschön
    Liebe Grüße
    Dieter